Der letzte Weizen stand noch
 

 

Im Gasthof hinter Dresden wurde in steifen Kissen geschlafen. Der letzte Weizen stand noch.
Die Ungarn saßen zwischen Sonnenblumen und Wassermelonen. Jedes Feld war bestellt, und noch die Sommerwege vor den Vorgärten hatten sie mit Blumen bepflanzt. Unsere rumänischen Freunde in Deutschland haben gesagt: „Ungarn ist ein schönes Land. Das wird schön sein, wenn ihr durch Ungarn fahrt." In Budapest spielt ein Studentensender elektronische Musik. Palatschinken werden über den Hof getragen.

Ein dunkler Gewitterhimmel hängt über Rumänien. Es ist Sonnabendabend und der Abend vor Maria Himmelfahrt.

Hinter einem Pass beginnt die Welt der geschnitzten Hoftore. Menschen mit Kiepen, Sensen und Heugabeln gehen nach Hause. Die Kühe finden ihre Wege allein. Auf den Holzstößen trocknen die Zwiebeln. Ein junger Mann, schön wie ein Matrose, streckt sich in der Tür mit Trachtenhut und Trachtenweste. Die Frauen kleiden sich mit Faltenröcken bis zum Knie.
Thomas trinkt Schnaps und ich bekomme eine Knoblauchvergiftung.

 

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Zu dem, was uns über Rumänien berichtet wird
„Zeigen Sie irgendetwas, das Ihnen in Rumänien gefallen hat, aber zeigen Sie etwas Positives“
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Im Pfarrhaus von Neustadt
Ich habe zwei Freunde. Sie sind Zwillinge und beide schön. (mehr)



Die Casa Poporului und Grieben in Bukarest (mehr)

Die Schweiz und Bern grüßen die Stadt Iasi
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In Maramuresch

   

 

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Zu dem, was uns über Rumänien berichtet wird

„Zeigen Sie irgendetwas, das Ihnen in Rumänien gefallen hat, aber zeigen Sie etwas Positives" wurde mir aufgetragen, und: „Mach ein Foto an einem sonnigen Tag. Der düsteren Novemberreportagen gibt es genug."
Rumänien bestehe nicht nur aus extrem oben und extrem unten, sagen Florian und Cristina, aus Mafia und Bettlern und Reichtum aus unbestimmten Branchen, aus Männern wie dem, der sich die Southfork-Ranch nachbauen ließ oder dem, der das Grundstück vor seinem neuen und prächtigen Haus kaufte, um das Haus auf diesem Grundstück abreißen zu können, da es die Sicht auf sein Haus verdecke, wobei er mit seiner Familie im Zelt hinter dem Haus zu schlafen pflegte. Es gäbe nicht nur sträunende Hunde und Straßenkinder. Auch in Rumänien seien die meisten Menschen normal. Sie gingen zur Arbeit, kümmerten sich um ihre Kinder und führen in die Ferien.

Rares Kerekes schenkt mir eine Zeichnung. Sie zeigt eine Kirche. Damit könne ich etwas Schönes zeigen, sagt er, und außerdem solle ich erzählen, dass man als Urlauber in Rumänien einem Menschen, der einem ein Zimmer anbieten wolle, durchaus trauen dürfe und nicht das Weite suchen müsse. Rares ist vermietet eine Wohnung in Sighisoara. Nach dem Fall Ceausescus hat er sie für zweihundert Dollar kaufen können und jeden Monat zwei Dollar abbezahlt.

Ceausescu und seine Frau ausgerechnet am Weihnachtsabend umgebracht habe, das sei ihm peinlich, sagt er. Rares ist sehr jung. Mit sechzehn habe man ihn zu einer abgelegenen Forstschule geschickt, um Förster zu werden wie sein Vater und sein Cousin. Da habe er das Rauchen gelernt. Einmal habe jemand in dem Wald, für den sein Cousin zuständig war, im großen Stile Bäume gefällt und abtransportiert. Der Cousin hätte ihn bei der Forstverwaltung angezeigt. Die Forstverwaltung habe nicht geantwortet und am Monatsende ihn, den Cousin, den Schaden von seinem kläglichen Gehalt bezahlen lassen. So sei das mit der Korruption und der Mafia. Auch über die Jäger unterhalten wir uns, die aus Deutschland, Österreich und Spanien gern in das Land kommen. Wir haben an der Grenze ihre Reisegesellschaften gesehen. Sie kämen, um Gemsen zu schießen, sagt Rares. Das Gemsenschießen ist verboten, aber ein Gemsenschießen kann man organisieren. Ein befreundeter und im Gebirge kundiger Mann ginge manchmal mit den Jägern Gemsen schießen. Einmal hätten die Jäger das Gemsengeweih an sich genommen, dem Führer aber untersagt, das Fleisch mitzunehmen: Das sei ihnen unappetitlich erschienen, wo die Gemse doch ein geschütztes Tier sei.

Ich weiß nicht, wie wir auf die Wahrsagerei gekommen sind, aber zur Wahrsagerei hat Rares eine Geschichte vom rumänischen Präsidenten erzählt, der die bekannteste Wahrsagerin des Landes gefragt haben soll, wann Rumänien der Europäischen Union beitrete. „Wenn die Schweine fliegen", habe die Wahrsagerin geantwortet.

 



Ferienort in der Nähe von Bran

 

 

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Im Pfarrhaus von Neustadt

Ich habe zwei Freunde. Sie sind Zwillinge und beide schön. Ihre Namen, haben sie immer erzählt, hätten sie wegen Gerd Müller und Uwe Seeler bekommen.
Gerd und Uwe kommen aus Neustadt bei Kronstadt. Gerd hat mir aufgetragen, die Bären zu suchen, die nachts an den Mülltonnen von Kronstadt fressen, was eine neue Attraktion für Gäste sein soll, und die schwarze Kirche zu besuchen mit ihren türkischen Teppichen.
Die Teppiche sollen Kaufleute mitgebracht haben, die im 17. Jahrhundert im Orient Geschäfte machten. Ihre Reisen waren gefährlich. In den Städten des Orients pflegten sie einen Teppich zu kaufen mit dem Versprechen, ihn der Kirche zu schenken, wenn sie heil nach hause kämen. Es soll Stimmen gegeben haben, die gesagt hätten, türkische Teppiche hätten in protestantischen Kirchen nichts zu suchen. Aber die Geistlichen seien kluge Leute gewesen und hätten erklärt, dass die Teppiche in den vielen Jahren, die sie in protestantischen Kirchen hingen, ausreichend christianisiert worden seien.

 

Wir haben im Pfarrhaus von Neustadt geschlafen, in hohen Betten bei Kachelöfen. Das findest du leicht, hatte Uwe gesagt, das war schon immer das schönste Haus am Platz. Einige Pfarrhäuser geben Zimmer an Gäste. Die Gäste sind fast alle Siebenbürger Sachsen, die nach Deutschland gezogen sind und zu Besuch kommen. Hatto Müller schickt uns auf den Glockenturm. Dort oben habe er jedes Jahr zum Reformationstag mit der Blaskapelle gespielt. Eine feste Burg sei unser Gott habe man gegeben, und Ehre sei Gott in der Höhe. Zwanzig Mann und zwanzig Instrumente, und kalt sei es gewesen morgens um acht am Reformationstag. Frau Porr ist in Neustadt geblieben, denn damals, als alle weggingen, da sei ihr Schwiegervater alt und krank gewesen. „Seit zwanzig Jahren haben wir keine Konfirmation mehr gehabt und keine Taufe", sagt sie. Auch ihre Tochter ist gegangen. Dabei sollte eigentlich Hochzeit gefeiert werden. Schweine habe man gemästet gehabt und 600 Liter Wein im Keller. Frau Porr erzählt auch, wie es gewesen sei auf dem Dorf in sozialistischen Zeiten. Jedem und jeder wurde ein Arbeitsplatz in der Industrie zugewiesen. In Kronstadt wurden zum Beispiel Motorräder gebaut. 4 Pferdestärken, sagt Hatto Müller, und davon zwei betrunken. Die kollektive Landwirtschaft wurde am Nachmittag nach der Industriearbeit betrieben. Dann gab es noch den eigenen Garten, die Hühner und das Schwein. Aber trotzdem erinnert man sich gern, sagt sie.

In einer Kirche steht der schöne Satz:„ Dieses Werk wurde mit Gottes Hilfe im Jahre 1488 beendigt, als am Gerhardstag ein großer Schnee die Obstbäume umbrach."
Selten war ich so evangelisch-lutherisch wie in Siebenbürgen.
„Die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nutz."

 

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Tina und Nicu Olteanu haben uns in die Casa Poporului geschickt, in den berühmten Palast, den Ceausescu in den achtziger Jahren hat bauen lassen, als die Rumänen auf Lebensmittelkarten einkauften und es der Bevölkerung in keinem der sozialistischen Länder so schlecht ging wie ihnen, wie die Rumänen sagen. Nonnen haben die Vorhänge bestickt. Der Palast hat einen Balkon, von dem Ceausescu zum Volk sprechen wollte. Er ist gestorben, bevor er von diesem Balkon sprechen konnte, und so ist Michael Jackson der erste gewesen. Er habe gesagt: „Hello Budapest!", sagt die Frau, die durch den Palast führt.
Tina wollte, dass wir auf die Lichtschalter achten, die in den meisten Fällen schräg eingebaut sind.

 

Nicu Olteanu stammt aus Videle, einer Kleinstadt westlich von Bukarest. Um Videle wird Öl gefördert. Am Mittag dämmert die Stadt in der Ebene. Kurz vor den Wahlen hat der Bürgermeister von Videle der Stadt ein Stück Bürgersteig aus Marmor spendiert und einen neuen, behindertengerechten Eingang zum Verwaltungsgebäude. Das fänden sie bezeichnend für Rumänien, sagen Tina und Nicu, diese absurde Pracht an absurdem Ort.

 


Die Männer vor dem Verwaltungsgebäude untersagen mir, das Haus zu fotografieren.
Ich mache ein geheimes Marmorbodenbild.

Im Pfarrhaus in Neustadt hat man uns Grieben mitgegeben, ein Stück Speck und rote Zwiebeln. Wir sind nach Bukarest gefahren. Es war sehr heiß. Am Mittag haben wir im Hotelzimmer Speck, Grieben und Zwiebeln gegessen.

 

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Die Schweiz und Bern grüßen die Stadt Iasi

In Iasi werden Künstler getroffen und Grafiker, Philosophen, NGO-Mitarbeiterinnen und Soziologiestudentinnen. Es ist eine schöne Stadt mit Straßenbahnen und Bouquinisten. Die meisten Straßenbahnen tragen Beschriftungen in deutscher Sprache. Auf manchen steht „Die Schweiz und Bern grüßen die Stadt Iasi." Die Berner, vermute ich, waren sich nicht sicher, ob die Bürger von Iasi wissen, in welchem Land die Stadt Bern liegt, und darum haben sie diese Formulierung gewählt, als sie ihre Bahnen nach Iasi geschickt haben. Die Schweizer Bahnen haben in jedem Fall die vornehmste Beschriftung. Auf deutschen Bahnen wird für einen Baumarkt vor den Toren von Halle oder für das Glücksspiel geworben: Lotto - auf einmal bist du reich. Iasi hat eine große Universität. Als ich krank bin, werde ich in eines ihrer Institute gebracht und in dunklen, großen Räumen von einem vertrauenerweckenden Komitee von Physikern, Biologinnen und Ärztinnen beraten. Insbesondere die Ärztin gefällt mir. So wie sie stelle ich mir die Betreuerin von Nadja Comaneci vor.

Ich halte einen Vortrag vor jungen Leuten in der vector-Galerie. Matei Bejenaru leitet die Galerie, und er leitet auch eine Biennale mit Namen periferic, die im nächsten Jahr zum siebten mal stattfinden wird. Zwei Listen mit Empfehlungen zu Webseiten werden mir gegeben. Eine Studentin schreibt einen Brief über lesbische Liebe und die Ablehnung, die sie in Rumänien erfährt. Leider sei das nicht nur in Rumänien so, schreibt sie, und deshalb könne sie nicht sagen, dass die Homophobie das rumänische Volk charakterisiere. „In essence we are all the same and we all want to be free and to be happy."

Einen zweiten Vortrag gibt es im Goethe-Zentrum. Draußen strömt der Regen und überschwemmt die Keller. In der ersten Reihe sitzen zwei ältere Herren. Einer ist Abgesandter der jüdischen Gemeinde, und der andere ist Abgesandter des deutschen Kreises. Zu meinen Vorträgen schenke ich Riesling aus. Ich bekomme eine schöne blaue Schale und zwei Flaschen moldauischen Dessertweins geschenkt, „denn auf keinen Fall dürfen Sie mit weniger nach Hause fahren, als Sie mitgebracht haben."


Linkliste von Oana Felipov und
Aurel Cornea

www.periferic.org
www.supernova.ro
www.2020.ro
www.2020.ro/RomanianStencilArchive
www.mindbomb.ro
www.mnac.ro

Linkliste von Catalin Gheorge

www.periferic.org (erste internationale Biennale für zeitgenössische Kunst, Iasi)
www.idea.ro (Zeitschrift für zeitgenössische Kunst, Cluj)
www.e-cart.ro (erste virtuelle Zeitschrift für zeitgenössische Kunst, Bukarest)
www.harta.ro (unabhängiger Ort für Kunst, Timisoara)

 

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