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Nach
Sofia
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Einen Mantel habe ich nicht mehr gebraucht,
als ich abgefahren bin in Berlin am Ostbahnhof. Hinter Dresden
ist der Rote-Beete-Saft mir umgekippt. In Prag ist ein tschechischer
Australier in den Zug gestiegen. Er sei Anwalt und reise herum,
um Verträge auszuhandeln, hat er gesagt. Vor ein paar
Jahren in Taschkent habe er einige russische Geschäftsleute
kennen gelernt. Im übrigen seien seine Geschäfte
top secret. In diesem Zug fällt er auf durch seine nachlässige
Kleidung.
Ab Wien teile ich das Abteil mit drei Rumänen.
Einer von ihnen erzählt, dass er als Maurer in Hannover,
Oldenburg und Karlsruhe gearbeitet habe. Jetzt ist er Bodyguard
in einer rumänischen Disko in Wien. Wegen der falschen
Aussagen zweier Polizisten, die ihn des versuchten Diebstahls
bezichtigt hätten, habe er drei Monate im Gefängnis
verbracht. Er verdiene 60 Euro am Abend, vier Abende in der
Woche, da habe er kein zappzarapp nötig. Sie würden
davon profitieren, dass ich mit meinem deutschen Pass und
meiner deutschen Sprache bei ihnen im Abteil säße,
sagen sie. An anderen Tagen müssten sie den Schaffnern
und Grenzschützern ständig Trinkgelder zahlen, weil
mit ihren Papieren und Fahrkarten angeblich etwas nicht in
Ordnung sei. Im übrigen teilen wir ihre Fanta und sie
raten mir, bald Kinder zu bekommen. Alle geben mir die Hand
und wünschen mir gute Reise, als ich in Budapest aussteige.
Es ist Nacht und der Budapester Bahnhof still
und schön. Still legen sich manche auf ihren Pappen schlafen.
Der Zug nach Belgrad ist mir als verrufen beschrieben worden.
Ich nehme ein Schlafwagenabteil. Wie herrlich die Wasserhähne
poliert sind!
Der Schlafwagenschaffner ist ein sehr feiner junger Mann,
ganz wie bei Robert Walser und bestimmt wie aus einer anderen
Zeit. Ob ich Angst vor dem Fliegen hätte, fragt er mich.
Wenn auf dieser Strecke Westeuropäer führen, so
mit der Begründung, dass ihre Frauen Angst vor dem Fliegen
hätten. Am frühen Morgen bieten die Männer
von der Belgrader Gepäckaufbewahrung mir Kaffee an und
pornografische Bilder.
Mein erster Tag in Sofia ist ein Feiertag. Gefeiert wird
der Beitritt Bulgariens zur Nato. Die Kirschbäume blühen
und alle öffentlichen Gebäude haben geflaggt. Weil
Bulgarien an diesem Tag der Nato beitritt, muss meine Gastgeberin
arbeiten. Negina Stoyanova ist Geigerin beim Radiosinfonieorchester.
Das Orchester gibt ein Konzert vor der Alexander-Newski-Kathedrale.
Würde sie ihre ganze Wohnung im Winter heizen, sagt Negina,
reichte ihr Gehalt gerade mal für die Heizkosten. Ihre
Wohnung hat drei schöne Zimmer und liegt in einem neuen
Wohngebiet an der letzten Metrostation. Manchmal arbeitet
sie für ein anderes Orchester, das Filmmusik für
französische und italienische Produktionen spielt.
Sie habe anderes zu tun, als sich für
die Nato zu interessieren, sagt Iwa, Neginas Freundin und
Kollegin an der Geige. In Sofia sind alle ernster geworden,
sagt Negina. Die Unsicherheit um das Geldverdienen macht
sorgenvoll.
Das Orchester spielt an diesem Tag mit Playback, weil es auf
dem Platz zu kalt ist für die Stimmen der Sänger.
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Ich packe meinen Koffer aus
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Zu Gast bei der Familie von Kamen Stoyanov in Russe an der
Donau
Am Freitagabend um acht sind Verwandte eingeladen
zur Präsentation meines Koffers. Das Kohlebrikett ist
ein Erfolg. Niemand hat je ein Brikett gesehen. Sein Gewicht
wird geprüft. Das sei bei ihnen alles gleich, sagen sie,
das mit dem Niedergang der Industrie und dem Verlust von Arbeitsplätzen
nach der Wende. Dass die DDR viel Braunkohle abgebaut hat,
ist allgemein aus dem Schulunterricht bekannt.
Eine ganz bekannte Sache ist auch ein jährlicher Stadtputztag,
wie ihn Barbara Steiner als erstaunliches Phänomen beschrieben
hat, das ihr aufgefallen sei, als sie in Deutschland zu arbeiten
begann. Als Stoyan Stoyanov den Film betrachtet, mit dem ich
die deutsche kollektive Stadtreinigung dokumentiere, bringt
er seine Anerkennung ob des sorgfältigen und gründlichen
Einsatzes zum Ausdruck.
Das mitgebrachte Gedicht von Tucholsky soll Satz für
Satz übersetzt werden.
Ich gebe Pfefferkuchen herum und zeige eine Weihnachtspyramide.
Über den gedanklichen Ansatz, vom eigenen Land etwas
schönes zeigen zu wollen, nickt Kamens Großmutter
voller Zustimmung. Einen rührenden Abschluss gebe ich
meiner Vorstellung mit Weißt du wieviel Sternlein
stehen auf der Mundharmonika, einem Auftrag meines Vaters,
der meine mäßig entwickelten Fähigkeiten an
der Mundharmonika kennt. Ich bekomme rauschenden Applaus.
Kamens Großmutter schlägt vor, im Austausch ein
Lied vorzusingen. Es ist ein Volkslied und handelt von einem
Lamm, dem der Bauer versprochen hat, es nicht von seiner Mutter
zu trennen und das er doch dem erstbesten verkauft. Sie stellt
sich in Positur und singt sehr schön. Dann kommt das
Lied vom schönsten aller Männer, den alle Frauen
lieben, dem schönsten Mann des ganzen Balkan. Das Lied
singen alle mit Freude.
Nach der Vorführung gehen wir in die Wohnung der Großmutter
im Flur gegenüber. Der Tisch ist gedeckt. Es gibt Banitza
und Joghurt mit Gurken, russischen Salat und Rakia. Ein Fernsehsender
spielt serbischen Turbofolk. Nur LKW- oder Taxifahrer hätten
früher solche Musik gehabt und gehört, und es sei
sowieso klar gewesen, dass das Musik für ungebildete
Menschen ist.
Es ist kurz vor Ostern. Ob es bei uns auch Ostereier gäbe,
werde ich gefragt. Ob wir auch Hefezöpfe zu Ostern äßen?
Eigentlich sind wir doch alle gleich, sagt die Cousine Sornitza
resigniert. Und wer noch nicht gleich ist, will gleich werden.
Neulich habe sie eine Schokoladenwerbung gesehen, die für
die Schokolade besonders mit Hinweis darauf geworben habe,
dass es sich um ein original bulgarisches Produkt handele.
Und dieselbe Werbung für eine importierte Schokolade
habe sie kurz darauf auf Discovery gesehen.
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Die Bulgaren und Europa
oder Wir haben der Welt auch etwas gegeben
Stoyan Stoyanov, Historiker aus Russe an der Donau, gibt mir
einen Text über einen wichtigen Moment in der Geschichte
Bulgariens mit nach Leipzig. (mehr)
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Ich packe meinen Koffer aus Zu Gast bei
der Familie von Kamen Stoyanov in Russe an der Donau (mehr)
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Oberhalb von Tarnovo liegt Arbanassi (mehr)
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Der Ausflug mit Kristio
Dass ein Mensch, der kein Mobiltelefon hat, ein Mensch ist,
mit dem zu sprechen sich eigentlich kaum noch lohnt, war das
erste, was ich in Bulgarien gelernt habe.(mehr)
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Ich bin in ein Lokal am Schenski Basar gegangen, wo die essen,
die auf dem Markt arbeiten. ... (mehr)
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Während des Krieges in Serbien konnte die Donau
nicht befahren werden ... (mehr)
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Veterinärmedizin und Aristokratie (mehr)
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Das schönste Stück vom Lamm (mehr)
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Oberhalb von Tarnovo liegt Arbanassi.
Am Hang mit schöner Aussicht die ehemalige Residenz des
ehemaligen bulgarischen Parteiführers und Staatspräsidenten
Schiwkow. 35 Jahre lang hat er Bulgarien regiert. Heute ist
das Haus ein Hotel. Nebenan ein Kloster und eine Kappelle,
die sich einer der berühmtesten Mafiosi Bulgariens in
die schönste aller Kleewiesen hat bauen lassen.
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Der Ausflug mit Kristio
Dass ein Mensch, der kein Mobiltelefon hat,
ein Mensch ist, mit dem zu sprechen sich eigentlich kaum noch
lohnt, war das erste, was ich in Bulgarien gelernt habe. Ich
habe mich dabei erwischt zu sagen, mein Mobiltelefon würde
in Bulgarien nicht arbeiten, so als ob ich zuhause eines hätte.
Die zentrale Post in Sofia, wo ich meine Anrufe tätige,
ist ein schönes Gebäude mit marmornen Fußböden,
eine Post aus der Zeit, als die Post noch etwas war.
Ich lerne junge Leute kennen. Wir trinken
Kaffee im Eurobulgarischen Kulturinstitut, und dann trinken
wir Kaffee in der Kafeteria der Akademie. Einen Kaffee im
Künstlerhaus hatten wir schon. Wir arbeiten an
uns und trinken Kaffee, sage man in Bulgarien.
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Borovez, April 2004
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Am Sonntag machen wir einen Ausflug zum Rilski
Monastir. Nachdem wir das Kloster gesehen haben, macht der
Taxifahrer für uns Programm. Ich soll was sehen von seinem
Land! Kristio schenkt mir eine Hand voll Harz von der Weisskiefer.
Es riecht wie Weihrauch. In allem gibt Kristio uns genaue
Anweisung: In der Kirche gehören die Kerzen für
die Lebenden an einen anderen Ort als die für die Toten,
durch die feuchte Höhle, in der Iwan Rilski als Eremit
gelebt hat, muss man sich quetschen und an einem Mäuerchen
in der Nähe Zettel mit Wünschen in die Ritzen stecken.
Wir essen Bohnensuppe und teilen uns zwei Forellen. Den ganzen
Tag streiten wir darum, wer das Essen oder den Kaffee bezahlen
darf. Kristio bringt uns nach Borowez, einen Kurort mit Wintersportgebiet.
Ein besonders kunstvolles Hotel hat ein berühmter Drogenhändler
mit Namen Kosio bauen lassen, der vor einigen Monaten in Amsterdam
erschossen wurde. Der bezahlte Schütze war Holländer.
Der sei doch sicher viel teurer gewesen als ein bulgarischer
Killer, überlegen meine Freunde.
Dieser Kosio habe im übrigen Zeit seines Lebens behauptet,
mit Kartoffeln reich geworden zu sein. In der Gegend um seinen
Heimatort Samokow wachsen die besten Kartoffeln des Landes.
Wir haben sie gesehen, die Händler in dieser erfolgversprechenden
Branche, mit ihren Kartoffeln auf der Kühlerhaube am
Straßenrand am Sonntagnachmittag.
Ich spreche russisch mit Kristio, und er spricht sein bulgarisch
mir zuliebe mit russischem Akzent. Alle zehn Minuten fragt
er, ob es mir auch gefalle. Wenn er nicht Taxi fährt,
bebaut er seinen großen Garten. Er hat Bienen und Kartoffeln,
Tomaten und Gurken, Wein und Schnaps. Wer zur Zeit in Bulgarien
Landwirtschaft betreibt, betreibe sie zur Selbstversorgung,
sagen meine Freunde. Neuerdings müsse man Nahrungsmittel
importieren. Und die Tatsache, dass heute die meisten Bulgaren
Joghurt von Danone kaufen, kann sich niemand erklären.
Wo doch Joghurt das Typischste überhaupt in ihrem Land
sei, so typisch, dass man mir keinen mitgeben könne für
meine Ausstellung.
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Gespräch bei Suppe
Ich bin in ein Lokal am Schenski Basar gegangen,
wo die essen, die auf dem Markt arbeiten. Ich habe Bohnensuppe
und Wein bestellt. Der Wein kommt in Wassergläsern, die
Tischdecke klebt, aber es ist schön. Der ältere
Mann, der sich an denselben Tisch setzt, isst erst eine, und
dann noch eine andere Suppe. Die Suppen kosten 25 Cent. Wir
verstehen vielleicht die Hälfte von dem, was der andere
sagt. Es regnet in Strömen, und wir müssen abwarten.
Er ist Techniker von Beruf. Jetzt hat er keine Anstellung.
Ich frage ihn, was er täte, wenn er viel Geld hätte,
wohin er gern führe, zum Beispiel. Wir können uns
über die Möglichkeitsform nicht verständigen.
Er zeigt mir die Stelle neben dem türkischen Bad, wo
die Einwohner Sofias sich Wasser aus Mineralquellen holen..
Es ist dunkel. Das Wasser ist heiß. An den Bushaltestellen
stehen Menschen mit Flaschen.
Ostdeutschland habe eine Lokomotive, so stelle sich das für
ihn da. Sie hätten keine.
Am nächsten Tag sind wir verabredet. Er will mich beim
Weinkauf beraten. Entweder ich warte nicht lange genug, oder
er kommt nicht.
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Die Bulgaren und Europa oder
Wir haben der Welt auch etwas gegeben
Stoyan Stoyanov, Historiker aus
Russe an der Donau, gibt mir einen Text über einen wichtigen
Moment in der Geschichte Bulgariens mit nach Leipzig.
Laut den Aufzeichnungen byzantinischer, westlicher
und östlicher Geschichtsschreiber (Teofan, Sigebert)
hat der bulgarische Khan Terwel im Jahre 718 Armeen nach Konstantinopel
geschickt, um dem byzantinischen Herrscher im Kampf gegen
die Araber zu helfen. Bulgarien lag häufig im Kampf mit
Byzanz, doch in diesem Falle schien ein Sieg der Araber schlimmer
als die byzantinische Macht. Terwel und seine Soldaten besiegten
das arabische Heer. Diesem Sieg folgte ein Sieg Karl Martells
über die Araber in Poitiers. Das Übergreifen des
arabischen Machtbereichs auf Europa wurde verhindert.
Ein
Relief auf einer goldenen Vase aus dieser Zeit stellt den
Sieg der Bulgaren dar. Der Soldat kämpft gegen einen
Drachen. Das geflügelte Pferd verleiht ihm Überlegenheit
und ist Zeichen seines Sieges.
Diese und andere Vasen wurden 1799 in Nera Wuin gefunden,
damals Ungarn, heute Rumänien. Sie befinden sich im kunsthistorischen
Museum in Wien.
Der Satz Wir haben der Welt auch etwas gegeben
stammt von dem bulgarischen Schriftsteller Iwan Wasow.
Kamen Stoyanov hat seinem Vater vorgeschlagen,
zum Thema des Beitrages die Tatsache zu wählen, dass
Bulgarien trotz seines Bündnisses mit Deutschland im
zweiten Weltkrieg keine Juden an die Nazionalsozialisten ausgeliefert
habe. Das ist nicht angemessen, sagt sein Vater.
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Das schönste Stück vom Lamm
In Veliko Tarnovo war ich zu Gast bei der
Mutter von Plamen Dejanoff. Rumiana Dejanova wohnt in der
Altstadt von Tarnovo. Sie hat eine Terrasse mit Linden und
Platanen, Flieder und Jasmin, und dort ist es so schön
wie in ganz Italien zusammen. Rumiana, ihre Mutter und ich
hören Elvis und Adriano Celentano. Es ist der Abend vor
Ostern. Wir gucken uns ein Licht- und Tonspektakel auf dem
Hügel an, auf dem im Mittelalter die bulgarischen Zaren
residierten. Rumiana sagt, es fände immer dann statt,
wenn größere Touristengruppen angekündigt
seien. Dargestellt sind die türkische Besatzung und die
Befreiung von ihrer Herrschaft. Rotes Licht stellt den Überfall
der Türken dar. Die Schreie seien früher besser
und ergreifender gewesen, meint Rumiana.
Zum Ostermittag ist auch Birgit geladen, eine Geschichtsstudentin
aus Graz. Wir essen Lammschultern und Spinatrisotto. Rumianas
Mutter nimmt mir mein Stück von der Schulter weg und
gibt mir ihres, weil es schöner ist. Wir trinken Schnaps
zum Salat wie es sich gehört. Die Vorstellung, Schnaps
könne ohne Salat und gar nach dem Essen getrunken werden
finden alle abwegig.
Sie Bulgaren hätten in Sachen Wirtschaft und Industrie
ja nicht viel zu bieten, sagt Rumiana. Gute Musiker hätten
sie, talentierte Künstler, eine schöne Natur und
historische Bauten. Daraus solle ich etwas machen!
Für den bulgarischen Gesang scheint eine starke Lunge
entscheidend zu sein. Lange werden die starken Lungen verschiedener
Verwandter gerühmt, die große Sänger gewesen
sein sollen. Am Osterabend kommen Kollegen von Rumiana vorbei.
Wir trinken im Café Campari, essen Torte und ich bekomme
Einblick in die Beschwernisse des bulgarischen Immobilienhandels,
die vor allem darin bestehen, dass 20 Makler gleichzeitig
ein und dieselbe Wohnung zu vermitteln versuchen.
Am Ostermontag fahre ich mit dem Zug. Mit dem Zug fahren sonst
nur Rentner und Studenten, die eine Ermäßigung
bekommen. Alle rauchen wie die Weltmeister. Ob es war sei,
dass wir in Deutschland kein englisch sprechen wollten und
dem Englischen feindlich gesonnen seien, fragt mich eine Studentin.
Sie habe gehört, dass die Franzosen, Italiener und Deutschen
Nationalisten seien, die auf ihrer Sprache beharrten und kein
englisch sprechen wollten.
Ob es Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland gäbe,
ob Ost- und Westdeutsche verschieden seien und ob sie ein
harmonisches Verhältnis hätten, das sind die Fragen,
die mir am häufigsten gestellt werden. Auch der alte
Mann, der mir Äpfel verkauft, fragt mich das in elegantem
Französisch. Früher hat er Französisch unterrichtet.
Kommen Sie nur wieder vorbei, Madame, sagt er mir.
Aleksander und Maria geben mir für die Ausstellung in
Leipzig die Aufgabe, Bulgarien in drei Generationen darzustellen.
Es gibt die Älteren, sagen sie, die leben in der kommunistischen
Zeit. Ihr Beitrag zu jeder Frage besteht darin zu erzählen,
wie es früher war und gemacht wurde. Dann gibt es diejenigen,
die so alt sind wie sie oder ich. Sie stehen für eine
zehnjährige garnichts-Zeit, die Zeit zwischen kommunistischer
und demokratischer, als niemand eine Ahnung hatte, wie es
geht, wie es wird und was morgen ist. Sie würden immer
nochmal und nochmal über alles reden, sich ständig
fragen warum und warum nicht, sie hätten das Bedürfnis,
Gründe für alles zu finden. Und dann gibt es die
jüngeren. Sie kennen die Geschichte nicht, sagt Maria,
sie leben, als ob es keine Geschichte gäbe. Sie denken
ganz und gar anders als wir. Wir zum Beispiel reden immer
wieder davon, ob man das Land verlassen solle, und sie reden
darüber, einmal, zweimal, und dann sind sie weg.
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Veterinärmedizin und Aristokratie
Ewgeni ist Tierarzt. Wir bestellen Kaffee,
und zum Kaffee bestellt er uns Cola. Vor fünf Jahren
hat er in der Lotterie eine Green Card für die USA gewonnen.
Er arbeitet in Memphis und prüft die Bestände großer
Warenhäuser. Von den großen landwirtschaftlichen
Kombinaten in Bulgarien ist nichts übrig geblieben, sagt
Jewgeni. Zur Zeit verdienten die Bauern so wenig an ihren
Tieren, dass es sich für sie nicht lohne, einen Tierarzt
zu bezahlen. Jewgeni fragt den Verwalter eines neuen Betriebes
für Schweinemast, ob er mit mir zu Besuch kommen könne.
Der Bauer scheint nicht begeistert. Es ist ihm peinlich, sagt
Jewgeni.
Jewgeni will zurückkommen nach Bulgarien. Das sagen alle,
sagt Kamen. Er will eine ökologische Tierzucht und Käseproduktion
beginnen. Vorher müsse er noch mal in die USA, denn in
drei Monaten bekomme er die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Dann war da noch Simeon Sakskoburgotski. Er ist der Ministerpräsident
Bulgariens und Sohn des letzten bulgarischen Königs Boris
Sakskoburgotski. Vor zwei oder drei Jahren ist er aus dem
spanischen Exil gekommen. Jetzt habe das Parlament ihm Residenzen
im Rilagebirge geschenkt, in denen zu seinen großen
Zeiten der Vater residiert habe, nachdem er sie mit dem Geld
des Volkes habe bauen lassen. Das ärgert alle sehr, denn
diese Residenzen seien doch in keiner Weise Eigentum dieses
Vaters gewesen! Warum man Simeon Sakskoburggotski gewählt
habe, frage ich. Wir hatten große Hoffnungen
sagt Stoyan Stoyanov. Er ist kein Politiker, sagt
er auch, er spricht wenig und sagt nichts.
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Während des Krieges in
Serbien konnte die Donau nicht befahren werden. Die
Absperrung der Donau war eine Reaktion Serbiens auf den Boykott,
der gegen das Land verhängt wurde. In dieser Zeit des
Boykotts sei überhaupt die serbische Mafia erst stark
geworden! Sieben Jahre konnte die Donau nicht befahren werden,
und das sei eine Katastrophe für Städte wie Russe
gewesen. Jetzt hat Kamen aus der Zeitung vorgelesen, dass
ein neues und in der Werft von Russe gebautes Binnenschiff
von Passau nach Rotterdam gefahren sei. Am anderen Ufer liegt
Rumänien. Dort ist Kamen noch nie gewesen.
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